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Sonntag, 24. Oktober 2010

Sterntalerhof

Vorweg ein paar Bilder






Montag 18.10.

Die Anreise war recht mühsam. Wir mussten mit Aaron noch ins St. Anna, weil die Thrombos am Donnerstag recht niedrig gewesen waren. Es war ziemlich kalt. Im Auto ließ ich Simon vorn sitzen, weil ich bei Aaron sein und Streit zw. den Großen vermeiden wollte. Obwohl mir die ganze Zeit kalt war, drehte Simon immer wieder die Heizung aus, wenn ich grad nicht schaute. So kam’s, dass ich mich den ganzen Tag nicht mehr richtig erwärmt habe. Hab gefroren bis zum Schlafen gehen, obwohl ich unter der Dusche, während Miriam und Aaron in der Wanne waren, das ganze noch verbleibende Heißwasser verbrauchte. Außerdem war mir während der ganzen Fahrt und noch lange danach ständig mehr oder weniger übel. Beim Heimfahren werd ich wohl nicht nochmal so selbstlos sein.

Die Ankunft war schön, weil das Gelände und die Wohneinheit so schön großzügig sind, dass man sich gleich wohl fühlt. Gejubelt haben wir über das wirklich geräumige Badezimmer mit großer Wanne. Alles ist barrierefrei / behindertengerecht angelegt. Beim gemeinsamen Mittagessen mit dem Team wurde uns bewusst, dass wir tatsächlich die einzige Familie hier sind. Es gibt zwar drei Wohneinheiten, aber in der hintersten wohnt Peter Kai, der Begründer, und die Mittlere steht (zumindest diese Woche) leer. Am Nachmittag gab es zuerst das Erstgespräch, bei dem alle Therapeuten anwesend waren (Psychologin, 2 Reittherapeutinnen, Musiktherapeut, Kunsttherapeutin), und dann gingen wir ENDLICH (für Aaron, der schon sehr ungeduldig und schlimm war) in den Stall. Lisa stellte uns die Pferde vor und holte schließlich holte den „Herrn Hubert“, das erfahrenste Therapiepferd von der Koppel. Er wurde im Stall angebunden, und dort durften wir ihn dann kennenlernen und putzen. Auch die kleine Rosi wurde aus dem Stall geholt und vor allem von Aaron gestriegelt. Besonders schön dabei fand ich, wie unglaublich offen und erfreut Aaron auf die Pferde zuging. Er hatte überhaupt keine Angst, und er passte gut auf, wie Lisa alles erklärte, sodass er danach, als er einen Striegel aus Rosis Box nahm, sogleich kreisförmig zu striegeln begann.




Und dann war es so weit. Dem Hubert wurde eine Decke aufgelegt und ein Gurt mit Haltegriffen umgeschnallt, und dann wurde er in die Halle geführt, und wir sollten zur Rampe gehen, von wo aus man bequem aufsteigen kann. Aaron lief voran und setzte sich gleich ganz vorn auf die Rampe, wolle als erster aufs Pferd, und das durfte er dann auch. Nochmal Pferde begrüßen, langsam aufsteigen, sich bequem hinsetzen, und dann, wenn man bereit ist sagen: „Hubert, bitte Schritt!“ Beim ersten Mal flüsterte Aaron das noch, schon am nächsten Tag war es ihm zur Gewohnheit geworden. Er war sofort glücklich auf dem Rücken des großen Pferdes, er strahlte übers ganze Gesicht.

Danach war Miriam an der Reihe, und mit ihr spielten wir dann auch gleich Ball: Wir standen im Kreis und warfen ihr, die auf dem Pferd langsam herumgeführt wurde, Bälle zu, dies sie auffangen und zu uns zurückwerfen sollte. Aaron war eifersüchtig, weil sie so lange durfte, denn er wollte so gern auch schon wieder. Danach kam noch Simon, mit dem wir schließlich das Lanzenspiel spielten, wo wir alle Kunststoffkegel mit Loch hochhielten und er sie mit einer „Lanze“ aufspießen musste.

Das ist Miriam beim Lanzenspiel.

Dienstag:

Der Dienstag war so intensiv, dass wir uns am Abend fragten, ob das wirklich erst ein ganzer Tag gewesen war, es war so viel passiert. 9h Morgenkreis, wo jeder sagt, was ihm gestern gut gefallen hat, wie’s ihm heute geht und was er sich für heute wünscht, danach kamen die Vorschläge vom Team, die sich gut überlegt hatten, was sie mit uns machen wollten. Simon und Miriam kamen gleich am Vormittag gemeinsam zur Musiktherapie, danach der Aaron. Aaron durfte als erstes auf dem Hubert reiten, das war es auch, was er sich wünschte. Er war gleich nach dem Frühstück, als wir zum Gemeinschaftshaus rübergingen schnurstracks Richtung Stall marschiert, und konnte es gar nicht erwarten, bis endlich die Rederei vorbei war und er mit Lisa und Markus zum Stall gehen durfte, wo sie Hubert von der Koppel holten und sie unter anderem das Kluppenspiel spielten, bei dem Aaron während des Reitens verschiedenfärbige Wäschekluppen vom Pferd (Sattelfecke, Mähne) und von seinem eigenen Gewand zupfen und in ein von Markus gehaltenes Körbchen tun musste.


Ich war am Vormittag zur Kunsttherapie eingeteilt und am Nachmittag hatte ich zuerst Musiktherapie und durfte dann Crazy kennenlernen und auf ihm reiten, zuerst in der Halle, mit verschiedenen Anweisungen von Sonja, dann eine Runde durch den herrlichen Mooswald. Hätte nicht gedacht, dass es so arg schaukelt, wenn man auf einem Pferd liegt anstatt zu sitzen, sehr ungewohnt. Auch Markus kam zum Reiten dran, auf Herrn Hubert, und auch in den Wald. Miriam und Simon waren auch einzeln zum Reiten dran. Auch Aaron war den ganzen Nachmittag beschäftigt. Die Praktikantinnen gingen zuerst mit ihm und Miriam Eicheln sammeln und die Ziegen füttern und spielten schließlich mit ihm im Gemeinschaftshaus.

Simon und Miriam beim Ball spielen.

Mittwoch:

An diesem Vormittag war die Psychologin da. Sie sprach mit Miriam, Simon und Markus einzeln und danach noch mit Simon und Miriamm gemeinsam und mit Markus und mir gemeinsam. Ich ging mit Aaron zum Stall und fotografierte mit Peters Kamera, weil Peter das Pferd führte, während Lisa mit Aaron übte. Heute wagte Aaron es sogar, sich verkehrt herum aufs Pferd zu setzen und schließlich sich sogar hinzulegen, wobei er den Hubert ständig streichelte.


Am Abend machte Simon Waffelteig, weil wir in unserer Wohnung ein Waffeleisen entdeckt hatten. Er suchte sich dazu ein Rezept aus dem Internet und besorgte sich die fehlenden Zutaten und Gerätschaften im Gemeinschaftshaus. Also buk ich dann zum Abendessen Waffeln. Sie waren lecker aber sehr sättigend, weshalb es auch am Do zum Frühstück und zur Jause ins Bad noch welche gab. Nach der Kocherei seilte ich mich aber ab, denn die Psychologin hatte mir Klaviernoten besorgt, und so gönnte ich mir eine Stunde mit Bach, Debussy und Schumann.

Donnerstag

Aaron durfte am Vormittag reiten, wenn auch nicht auf Hubert sondern auf Crazy, Markus ritt auf Hubert. Ich hatte Musiktherapie. Er machte mit mir eine Familienaufstellung mit Instrumenten, und anschließend durfte ich wieder in der Klangwiede entspannen, wobei er mir eine Art Aufgabe stellte (Traumreise zum Kraft tanken). Das war super. Ich dachte zuerst an meinen alten Kraft-Platz, auf der Wolkendecke über Innsbruck. Gelandet bin ich dann aber unter dem Baum der Seelen aus dem Avatar-Film, wo ich mich von den leuchtenden Wurzeln überwachsen ließ, weil Bernhard von Erdverbundenheit sprach, und wo ich schließlich durch den Baum in das Reich Eywas, der großen Göttin aufstieg, wo all die Seelen der Vorfahren wohnen. Es war eine sehr, sehr gute, ich-stärkende Erfahrung. Danach hatte ich noch 15 min Zeit bis zu Simons Lernstunde. Die nützte ich, um kurz in die Sonne hinauszukommen, die heute erstmals konstant schien. Gestern hatte sie am Nachmittag kurz herausgeschaut. Da ritt gerade Aaron auf Crazy vorbei, sein erster Ritt außerhalb der Halle. Es war schön anzusehen, und er winkte mir begeistert.

Aaron hat wiedermal viel gegessen zu Mittag. Wenn so viele Leute bei Tisch sitzen, schmeckt es ihm immer gut. Außerdem wurden wir ja Anfang der Woche sehr genau ausgefragt, was uns allen gut schmeckt. Heute gab es faschierte Laibchen mit Kartoffelpüree. Am Nachmittag fuhr Markus mit den Kindern in die Therme Stegersbach und ich machte mit Aaron einen langen Spaziergang durch den Mooswald, aber erst, nachdem er bei der Koppel in die Heu-Raufe geklettert war, von wo aus er die Pferde mit Heubüscheln fütterte. Am Abend durfte Aaron eine Runde um die Halle am (uralten) Traktor mitfahren, und weil es ihm so gefallen hat, hat ihn der Arbeiter dann noch extra eine Runde durch den Wald chauffiert.

Freitag


Heute früh wurde Aaron traurig, als Simon oder Miriam sagten, dass dies unser letzter Tag hier ist. Der Vormittag war für mich großartig. Zuerst war ich mit Markus bei der Musiktherapie. Den zweiten Teil dieses Kraft-tank-Vormittags verbrachte ich auf Crazy geführt von Sonja durch Wald und Feld.

Eine Aufgabe, die sie mir dabei stellte: Rucksack neu packen, toll gegen meine Verspannungen im Schulterbereich. Ich sollte den Rucksack, den ich mit mir herumschleppe, und der in den letzten Monaten immer schwerer geworden ist endlich mal auspacken, mir das was da drin ist (Personen, Ängste, sonst. Gefühle, Erinnerungen, …) bewusst anschauen und entscheiden, ob ich’s wirklich noch brauche. Alles, was ich entscheide, nicht mehr zu benötigen, wegzuwerfen, dafür neue Sachen einzupacken, die ich mir von hier, aus dieser Woche mitnehmen möchte.

Den Nachmittag verbrachten wir als ganze Familie sowie mit Sonja, Lisa, Bernhard und den beiden Praktikantinnen Christina und Theres bei einem Spaziergang mit Hubert und Crazy.

Markus und ich (und später Simon und Miriam) machten auf den Pferden mit Sonja noch eine Meditation auf der Brücke. Wir blickten beide in die Richtung, aus der das Wasser auf uns zu kam, die Richtung hatten wir uns selbst ausgesucht. Wir sollten uns vorstellen, das ist, was die Zukunft uns bringt. Mitnehmen konnte ich mir davon vor allem, dass ich keine Angst vor der Zukunft zu haben brauche. Es war einfach ein schönes Bild, dieser grünliche, naturbelassene Fluss, die herbstlichen Farben der Blätter an den Bäumen am Ufer, rote Beeren auf einem Strauch im Vordergrund. Das Wasser fließt ruhig und kontinuierlich auf mich zu, unter mir durch und wieder weg. Dieses Bild hab ich mir eingeprägt. Die Zukunft kommt sowieso. Wenn sie da ist, handle ich in ihr, tu, was ich dann für richtig halte, etc. Aber es ist kontraproduktiv, sich über die Zukunft Sorgen zu machen. Leben, und die schönen Momente im Leben genießen, kann ich nur im jetzt, genau hier und jetzt auf dieser Brücke.

Nachdem alle Pferde gefüttert und in die Boxen gebracht worden waren, futterten wir zum Abschluss noch gemeinsam Reste vom Mittagessen auf und Kuchen vom Vortag und beim Abschied wurden wir noch mit Souveniers beschenkt, Schlüsselanhänger, Luftballons und Sterntalerhof-T-Shirts.
Leider musste sich Aaron am Abend wiedermal vollständig übergeben. Er hatte einige Manner-Schnitten gegessen, aber ob es daran gelegen ist? Die immer wiederkehrende Speiberei ist nervtötend. Heute fragte er mich, ob ich aus do viel hatte speiben müssen, als ich klein war. Danach war ihm wieder besser, aber er ist halt wiedermal mit völlig leerem Magen zu Bett gegangen. Derzeit ist er echt dünn, sodass der Kopf schon unnatürlich groß aussieht. Normalerweise fällt mir das nicht so auf, aber auf Fotos schon. Da mache ich zum Beispiel in der Badewanne Fotos, weil Aaron so viel Spaß hat und lacht, und wenn ich das Foto dann anschau erschrecke ich, weil er am Foto so ausgezehrt wirkt.
Morgen könnten wir theoretisch noch bis zum Abend hier bleiben, denn die Wohneinheit wird üblicherweise erst am Montag Vormittag für die neuen Gäste hergerichtet. Markus will ja mit Miriam nach IBK fahren, aber es ist gut, dass wir uns wenigstens noch hier ein Mittagessen richten können. Danach hoffe ich, dass Aaron im Auto ein wenig schlafen kann.


Samstag

Der Abreisetag verlief nicht ganz so entspannt, wie wir es uns gewünscht hatten. Das lag daran, dass Aaron einen nicht ganz so kleinen Unfall mit seinem Laufrad hatte. Aaron hat derzeit zu wenige Thrombozyten. Ein Sturz sollte da gerade überhaupt nicht passieren! Gottseidank trug er einen gut sitzenden Fahrradhelm, und darunter noch eine Wollhaube mit doppelter Krempe. Er blutete an der Nase, am Kinn und vor allem aus der Oberlippe, aber den größten Stoß dürfte der Helm über der Stirn aufgefangen haben, der ist an dieser Stelle ganz abgeschrammt. Trotzdem wussten wir natürlich nicht, ob er nicht trotz Helm vielleicht eine Gehirnblutung haben könnte. Wir hatten beide dem entsprechend Angst. Aaron stand schlimm unter Schock, weinte zuerst nur nach seinen Tinky Winky und seinem Tuchi. Nachdem er diese beiden Dinge hatte, beruhigte er sich aber relativ schnell wieder. Wir gaben ihm ein feucht-kaltes Tuch zum Kühlen seiner bereits bläulich geschwollenen Oberlippe. Eine halbe Stunde später sauste er wieder in der Wohnung herum. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Zwei Stunden später war er schon wieder schlimm genug, Markus im Müllhäusl einzusperren und sich in die unmittelbare Nähe eines arbeitenden Katerpillers zu begeben, was Markus ziemlich aufregte, und kurz vor der Abfahrt wollte er schon wieder sein Fahrrad auspacken, weil die Straße von der Weide, wo wir uns von den Pferden verabschiedet hatten, zum Auto hin leicht bergab ging. Das erstaunte mich am allermeisten.

Sonntag, 24.10.

Es ist irgendwie komisch, wieder hier zu sein. Melancholisch. Ich habe gestern Abend und heute die vielen Fotos bearbeitet. Die schönsten hab ich als Bildschirmschoner installiert und auch der Desktop-Hintergrund zeigt den Mooswald. Wenn ich jetzt Bilder von Crazy sehe, fehlt es mir, dass ich ihn nicht berühren kann, die Kaninchenfell-weiche Stelle auf seiner Brust nicht streicheln, seinen warmen Atem nicht spüren kann. Hab ich mich in ein Pferd verliebt?
Das ganze Team hat betont, dass es schön war, mit uns zu arbeiten, weil wir uns „eingelassen“ haben. Das stimmt. Ich hab mich auf die Menschen und auf die Tiere eingelassen, sowohl Sonja als auch Crazy sind mir in dieser Woche vertraut geworden. Es fühlt sich falsch an, dass sie nicht in mein Leben gehören.
Dieses Pferd fehlt mir. - Obwohl ich als Kind lang geritten bin, hatte ich, glaube ich, nie zuvor so eine Beziehung zu einem Pferd, wie zu Crazy nach diesen paar Tagen.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Herbst

Nebel, verkriech-mich-Stimmung. Irgendwie ist alles anstrengend. Der Sommer ist noch nicht lange her, und schon wieder habe ich das Gefühl, DRINGEND mal RAUS zu müssen.
Und das tun wir auch. Nächste Woche ist Auszeit angesagt! Überraschend schnell haben wir einen Termin am Sterntalerhof bekommen. (www.sterntalerhof.at) Von Montag, 18.10. bis Samstag 23.10. werden wir im südlichen Burgenland sein. Markus hat Urlaub und auch die beiden Großen konnte ich problemlos aus der Schule freibitten. Es handelt sich um eine Familien-therapeutische Woche. Die Kinder können dort therapeutisches Reiten ausprobieren. Und für mich und Markus erhoffe ich mir vor allem Entspannung und Kraft tanken. Die Therapeuten stehen uns genauso zur Verfügung. Ich habe mehrere Familien kennengelernt, die schon dort waren, und alle haben nur geschwärmt und uns den Sterntalerhof wärmstens empfohlen. Deshalb hatte ich ja auch angefragt. Dass wir so schnell einen Termin bekommen haben, liegt daran, dass eine Familie ausgefallen ist.

Wie's weitergeht:
Aller Vorraussicht nach werde ich ab Mitte November wieder unterrichten, aber vorerst nur eine Klasse, solange Aaron nicht im Kindergarten oder bei einer Tagesmutter betreut werden darf. Für Aaron ist es am Wichtigsten, dass er jetzt mal gesund bleibt und seine Therapie bekommt. Derzeit nimmt er Thioguanin zu 50%. Ich hoffe aber, dass wir bald wieder erhöhen können. Morgen Donnerstag sind wir wieder in der Ambulanz, da wird sich das weisen. Morgen Nachmittag wird auf der 2B ein Fest gefeiert, das "Du hast schon viel geschafft"-Fest. Wir haben wirklich schon viel geschafft. Wir werden natürlich dabei sein, obwohl mir derzeit so gar nicht zum Feiern zumute ist, auch nicht im Hinblick auf meinen bevorstehenden 40. Geburtstag. Komisch, noch vor einem Jahr hab ich mir gedacht: "Wahnsinn, jetzt bin ich bald 40!" Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, hat mich das zwar nie gestört, ich hab mich deswegen nie alt gefühlt, aber jetzt fühlt es sich trotzdem ganz anders an, eher so, dass es mir komisch vorkommt, dass ich ERST 40 werde. Ich fühl mich älter.

Samstag, 9. Oktober 2010

Kindergartenstop

Eine Woche später, am Montag den 27. September, packte ich für unsere Kontrolle im St. Anna eine große Tasche, weil ich bereits damit rechnete, dass wir an diesem Tag nicht wieder heim kommen würden. Aaron hustete ziemlich und in der Nacht von Sonntag auf Montag fieberte er leicht. Ergebnis der Untersuchung: Entzündungswert im Blut = 7, das ist hoch, Lungenröntgen unauffällig. Wo die Entzündung lag, konnte man also nicht mit Sicherheit sagen, entweder doch in der Lunge, aber in einem noch so frühen Stadium, dass es am Röntgen noch nicht sichtbar war, oder in den oberen Atemwegen, oder sonstwo. Da es Aaron aber gut zu gehen schien (Er war ziemlich schlimm in der Amulanz), schrieb mir die Ärztin ein Rezept für ein Antibiotikum auf und entließ uns wieder.

Bezüglich meiner Unsicherheit wegen des Kindergartenbesuchs hatte ich per e-Mail mit Herrn Doktor Kager Kontakt aufgenommen, den ich von der 2B kenne, der Aaron und seine Krankengeschichte gut kennt. Er hatte mir sofort zurückgeschrieben und gleich im Mail sehr ausführlich erklärt, wie die Thioguanin-Dosis berechnet wird und wovon sie abhängt. Er hatte mir versichert, dass die Oberärztin in der Ambulanz eine der besten Onkologinnen sei, die er kenne, und Aaron da sicherlich in guten Händen sei. Ab Oktober wird er übrigens auch selber in der Ambulanz eingesetzt sein, und dann auch wieder für Aaron zuständig. Er hatte mir auch angeboten, mit mir zu sprechen, entweder telefonisch, oder wenn ich das nächste mal da bin, persönlich. Also hatte ich mich für diesen Montag angekündigt. Deshalb ging ich nach der Ambulanz mit Aaron noch in die 2B hinauf um mit Dr Kager zu sprechen, der allerdings gerade in einer Besprechung war. Noch während wir auf ihn warteten, wurde Aaron plötzlich übel und er musste sich gleich dort am Gang der Station übergeben, hab's nicht mal geschafft schnell Tassen zu holen. In den darauf folgenden 2 Stunden übergab er sich unzählige Male. Wir waren im Spielzimmer der 2B, Aaron lag im Kinderwagen und wollte eigentlich schlafen, war plötzlich total müde, musste sich aber immer und immer wieder aufsetzen und wieder und wieder gelben Gallensaft spucken, bevor er schießlich auf den Polstermöbeln im Spielzimmer doch einschlief. In dieser Zeit, als es ihm so schlecht ging, kamen 3 Ärte zu uns, die alle sagten, so könne Aaron wohl nicht nach Hause entlassen werden, und sie würden sich darum kümmern, dass wir ein Zimmer auf der 2A bekämen. Dr Kager nahm sich auch wie versprochen Zeit, aber zu diesem Zeitpunkt war für mich schon klar, dass ich Aaron zumindest bis Weihnachten nicht mehr in den Kindergarten würde gehen lassen. Das hatte mir auch die Ärztin in der Ambulanz geraten, und angesichts seiner jetzigen Entzündung und der Tatsache, dass die Chemo-Therapie nun insgesamt schon für ein ganzes Monat unterbrochen werden musste, war klar, dass es für den Kindergartenstart einfach noch zu früh gewesen war.

Nachdem Aaron wieder erwacht war (es ging ihm schon etwas besser) wurden "Zauberpflaster" geklebt und später dann ein Venflon gestochen. Das war für Aaron wieder etwas Neues, er hatte in seinem Leben erst einmal welche, das war am 10.1., als die Leukämie erstmals diagnostiziert wurde, und daran kann er sich nicht mehr erinnern. So erschrak Aaron diesmal ziemlich, als er die Nadel am Venflon sah, die in der Schutzhülle noch viel größer und bedrohlicher wirkte. Er hatte richtig Angst, versteckte seine Hände hinter dem Rücken und konnte uns nicht glauben, dass es nicht wehtun würde. Er hat dann trotzdem ganz brav still gehalten, und auch sofort wieder zu weinen aufgehört, als er merkte, dass es ja doch nicht weh tat. Dafür durfte er sich danach ein Geschekt aussuchen und bekam einen blauen Wasserball. (Aaron liebt ja Bälle jeder Art.)

Nachdem wir in die 2A übersiedelt waren und die Medikamente zu wirken begonnen hatten, ging es ihm bald wirklich besser, und er konnte am Abend sogar wieder ein Stückchen trockener Semmel essen und Saft trinken. In der Nacht schlief er gut. Ich weniger. Mehrmals kam die Nachtschwester herein um das Antibiotikum in den Schlauch zu spritzen oder die Windel zu wechseln, die durch die hoch eingestellte Infusion sonst heillos übergegangen wäre. Am Dienstag war der Entzündungswert schon wieder rückläufig, kein Erbrechen, auch kein Durchfall, also war's wahrscheinlich eine bakterielle Infektion und gottseidank doch kein Virus. Und am Mittwoch durften wir dann auch schon wieder heim, Antibiotikum zum Schlucken im Handgepäck. Donnerstag feierten wir Simons 14. Geburtstag. Mein Erstgeborener ist mit seinen 180 cm jetzt 3 cm größer als ich, und auch sonst hat er sich toll entwickelt in letzter Zeit. Ich bin stolz auf ihn.



Am Dienstag den 5. Oktober war es dann endlich so weit, Aaron war wieder gesund, die Werte wieder gut, und die Chemo konnte wieder begonnen werden. Thioguanin-Tabletten zu 50% und die erste der 4 Spritzen. Unglücklicherweise hatte ich nicht damit gerechnet, dass er gleich die Spritze bekommen würde, und hatte ihm kein Zofran gegeben, und auch im Krankenhaus vergaß ich danach zu fragen. Wir waren gerade mitten am Gürtel, mittlere Fahrspur, als die Speiberei losging. Wir standen dann ziemlich lange mit Warnblink-Anlage in einer kleinen Ausbuchtung am linken Straßenrand, bis ich wenigstens das Kind aus dem schmutzigen Gewand geschält, in eine Decke gehüllt und in einen anderen Autositz verfrachtet und alles noch Schmutzige möglichst weit hinten im Transportraum verstaut hatte. Besser wurde es dem Aaron natürlich während der ganzen Heimfahrt nicht, obwohl er es amüsant fand, dass ich "Scheiße" ("Mama, hast du "Scheiße" gesagt???") und "Geh bäh" ("hihihi") gesagt hatte.

Die restlichen drei Spritzen bekam er wieder von einem befreundeten Arzt in unserer Nähe, und das Zofran vergaß ich nicht wieder. Dank der Pharmazie, dass das Zeug so perfekt wirkt!

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Aaron kocht für seine großen Geschwister: