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Samstag, 8. Januar 2011

Großer Aufruhr um ein müdes Kind

Gestern in der Früh war Aaron noch lethargischer als am Tag zuvor. Er vermied jede noch so kleine Bewegung. Das Frühstücksflaschi musste ich ihm halten, die Lieblingskekse, die auf einem Teller direkt neben seinem Kopf auf dem Kopfpolster lagen, musste ich ihm zum Mund führen, den Tinky Winky, 15 cm außer Reichweite, musste ich ihm geben, ...

Sogar sprechen war ihm zu anstrengend. Er beschränkte sich auf seufzen und leise Weh-Klage-Laute. Natürlich fragte ich ihn: "Aaron, wie geht es dir?" Die Antwort war ein schwaches "Gut". "Tut dir irgendwas weh?" - leichtes Kopfschütteln. "Bist du traurig?" - "Nein." - "Bist du so müde?" - "NEIN!!" (So lass mich doch endlich in Ruhe.) "Aber warum stehst du denn dann nicht auf?" - "Keine Ahnung."

Nach dem im Liegen gefütterten spärlichen Frühstück war er so geschafft, dass er schon wieder schlafen musste. Da hatte ich genug. Ich ging zur Schwester und sagte ihr, dass ich mir um Aaron Sorgen mache, weil er in den letzten Tagen immer noch müder und kraftloser geworden war. Die Schwester berichtete den ÄrtInnen, jene kamen nachschauen. Aaron versteckte sich unter seinem Schmusetuch und wollte mit niemandem reden. So kennen sie ihn gar nicht.

Daraufhin wurde eine Untersuchungsserie in Kraft gesetzt. Als erstes kam das EEG ins Zimmer. Obwohl es diesmal keine lustigen Dinge zu beobachten gab, und Aaron eigentlich fast die ganze Zeit die Augen geschlossen halten musste, fand er das schon recht spannend.

Anschließend durften wir sogar einen Ausflug machen, mit dem Rettungswagen zur Bellaria um ein Schädel-MRT machen zu lassen. Endlich wieder einmal Hose, Jacke, Stiefel, Haube anziehen und raus. Als wir vorm Lift standen, sagte Aaron "AUA!", und ich dachte zuerst, er hätte wieder Beine- oder Po-weh, "Nein, mein Zahn!" Da guckte ich kurz unter seinen Mund-Schutz und sah, dass ihm Blut aus dem Mund ronn. Schnell zurück ins Zimmer, Maske abnehmen, Mund untersuchen. Vor lauter Aufregung hatte sich Aaron innen in die Unterlippe ein ziemlich tiefes Loch gebissen, das nicht aufhören wollte zu bluten. Die Ärztin überlegte bereits, ob wir den "Ausflug" verschieben und davor noch die fälligen Thrombos anhängen sollten, aber jetzt war er ja schon angezogen, eigentlich wollten wir schon fahren. Da hatte die Ärztin eine Idee und brachte uns so kleine Würfel, die sie in die Zahnlücke stopfen, wenn ein Kind einen Zahn verliert und die Stelle stärker blutet. Das erste Würfelchen war zwar gleich vollgesogen, aber mit dem zweiten machten wir uns dann auf die Reise. Dieses hat er übrigens später irgendwann verschluckt.

Im Rettungswagen wollte Aaron liegen, weil er im Sitzen oft starke Schmerzen hat und wohl auch rasten wollte, und auch dort schob ich ihm zwei Stühle zusammen, damit er sich hinlegen konnte. Es war das selbe Institut, zu dem uns unser letzter Ausflug zum CT geführt hatte. Der Kontrast, den Aaron gestern zu dem Aaron vor drei Wochen dort bot, war schmerzhaft. Was hätte ich drum gegeben, wenn er wieder ein wenig schlimm gewesen wäre. (Genau deswegen, weil ich gewusst hatte, was auf ihn zukommen würde, hatte ich ihn damals weitgehend gewähren lassen.)

Bei der Untersuchung war Aaron natürlich wieder einmalige Spitze. Ich trug ihn hinein, wir sahen uns kurz das große Gerät an. Ich fragte: "Bist du bereit?" Er antwortete: "Ja." und ließ sich auf den Untersuchungstisch legen. Wir beide bekamen Ohr-Schützer. Ich die mit Entspannungsmusik, er die ohne, denn er wollte ja die lauten Geräusche hören. Angeblich dauerte es etwa eine halbe Stunde, aber es kam mir kürzer vor. Aaron lag absolut still und lauschte auf die verschiedenen, plötzlich kommenden und gehenden lauten Geräusche, ohne ein einziges Mal zu erschrecken. Zumindest hat er nicht gezuckt. Immer wieder machte er die Augen zu. Wenn sich der Lärm änderte, guckte er meist zu mir heraus und grinste leicht. Die Assistentin dort lobte ihn, er habe sich, im Gegensatz zu so manchem Erwachsenen, absolut vorbildlich verhalten.

Beim Warten auf die Bilder hatte Aaron wieder Schmerzen, vielleicht vom langen ruhig Liegen, nach dem EEG hatte er auch einen Schmerz-Anfall gehabt. Das Warten wurde ihm überhaupt recht lang. Auf der Straße schließlich blieb er noch einen Moment stehen, um eine Straßenbahn zu beobachten, bevor er in den Rettungswagen stieg.

Zurück in unserem Zimmer im St.Anna konnte Aaron endlich wieder schlafen. Davor musste ich ihm aber unseren "Ausflug" noch einmal in allen Details (Es gibt derer wesentlich mehr, als ich hier erwähnt habe) schildern, damit er davon noch träumen konnte.

Am späteren Nachmittag war Aaron dann ganze 3 Stunden munter, und dabei zum Teil auch wieder recht lustig, er hat sogar ein paar Runden Mario Cart gespielt und sein Auto mit großem Vergnügen immer wieder absichtlich in den Abgrund gesteuert.

Die Untersuchungsergebnisse:
EEG zeigt verlangsamte Arbeit eines Teils des Gehirns. Das ist bei Kindern in Chemotherapie angeblich recht oft zu beobachten und deswegen nicht besorgniserregend. Beim MRT fanden sich einige leicht "geschwollene"(?) Stellen, was aber auch nicht Besorgnis erregend sei.

Heute Vormittag folgte noch eine vorgezogene Lumbalpunktion. Dies aus zwei Gründen. Die Ärzte wollen mit Sicherheit ausschließen, dass sich Krebszellen im Rückenmark befinden. Dies ist sehr unwahrscheinlich, da das Rückenmark diesmal ja gar noch nicht befallen war. Und sie wollen mit Sicherheit ausschließen, dass sich Bakterien oder Viren im Rückenmark befinden. Die nächste planmäßige Punktion wäre in nicht ganz einer Woche, aber sollten vielleicht doch Krankheitserreger im Rückenmark sein, so wäre es nicht gut, das erst so spät zu erfahren.

Aaron war über den Umstand, dass er nüchtern bleiben musste gar nicht erfreut und klagte über Bauchschmerzen. Er wollte sich auch durch nichts ablenken lassen, kein Spiel, kein Buch, kein Film. Also kuschelte ich mit einem seufzenden Kind im Bett, bis es so weit war und er geholt wurde. Zum Glück mussten wir diesmal wirklich nicht lange warten. Weniger glücklich war der Umstand, dass nur ein wenig erfahrener Intensivmediziner Dienst hatte. Der dürfte Aaron ziemlich verstochen haben. Die Schwestern klangen auf jeden Fall recht besorgt, als sie mir den Sandsack in die Hand gaben mit der Bitte ihn diesmal wirklich mindestens eine Stunde lang auf Aarons Rücken zu drücken (er mag nämlich nicht am Bauch liegen) und ihm zur Sicherheit gleich noch ein zusätzliches Schmerzmittel anhängten, denn er sei heute "mehrmals" gestochen worden, und man wolle verhindern, dass er arge Schmerzen bekomme. Ich bemerkte auch den ungewöhnlich dicken Druckverband auf Aarons Rücken und den blutigen Pyjama. Auch das war noch nie der Fall gewesen. Später fragte ich dann nochmal nach, warum Aaron denn heute "öfter" gestochen worden war als sonst. Antwort der Schwester: "Weil der Liquor blutig war, und für die Untersuchung (das wusste ich bereits) braucht man einen reinen Liquor." Ich hatte im vergangenen Jahr schon mitbekommen, dass es so etwas wie ein Wettbewerb unter den Ärten ist, einen möglichst reinen Liquor zu bekommen, und bei Aaron hatten das schon viele auf Anhieb geschafft. Ein zweiter oder gar dritter Stich war noch nie notwendig gewesen. "Das kommt halt immer auf den Punkteur an," fügte die Schwester nach einer kleinen Pause hinzu. Die Stellvertretende Oberärztin stammelte später auch noch eine schlechte Erklärung, eigentlich es (bei dem jungen Kollegen) ja auf Anhieb geklappt, aber es sei halt blutig gewesen, sie wisse auch nicht wieso, also habe sie danach nocheinmal stechen müssen." Na super. Weiß eh schon Bescheid.

Heute waren Miriam, Simon und auch der Papa zu Besuch. Nur sehr viel hatte Aaron nicht von ihnen, den trotz erhöhter Schmerzmittel hatte Aaron heute mehrere sehr starke Schmerz-Anfälle. Er deutete auf die Hüfte oder auf den Bauch, aber die Schwestern nahmen an, dass die Schmerzen von der Punktion stammen. Wenn er sich schreiend im Bett wälzt ("Es tut so weh! Es tut so weh!"), dann ist es halt schwer aus ihm herauszubekommen, wo genau es ihm weh tut, und danach flüchtet er sich (sinnvoller Weise) immer gleich in den Schlaf. Oft hilft das, und er kann tatsächlich schlafen. Wenn er beim wieder Aufwachen immer noch weh hat, oder wenn er sich, wie jetzt am Abend im Schlaf unruhig hin und her wälzt und immer wieder aufweint, hängen wir ihm noch ein Schmerzmittel an. Das hilft. Jetzt schläft er ruhig und gut. Hoffentlich ist's morgen wieder besser.

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