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Samstag, 29. Januar 2011

Info zur Stammzellentransplantation

Ich werde versuchen, das was uns die Ärztin (mithilfe wunderschöner
Skizzen, die ich später vielleicht einmal einscannen und anfügen werde)erklärt hat, kurz und verständlich zusammenzufassen:

Durch das Innere unserer Knochen fließt ständig Blut.
Im Knochenmark "wohnen" die sogenannten "Stammzellen", die alle verschieden Blutzellen bilden, also sowohl die roten, als auch die weißen Blutkörperchen und die Blutplättchen.

Uns interessieren hier die weißen Blutkörperchen, die Leukozyten. Es gibt derer zwei große Gruppen:
-) die Granulozyten: Dies sind einfache, wenig intelligente Blutzellen, die nur 3-4 Tage im Blut überleben. Ihre Aufgabe ist es, Bakterien unschädlich zu machen.
-) und die Lymphozyten: Diese sind wesentlich "intelligentere" Zellen, die sehr langlebig sind, manche überdauern ein ganzes Menschenleben. Sie sind fähig, Informationen zu speichern und untereinander auszutauschen, und sind so das Grundgerüst unseres Immunsystems. Sie haben drei wichtige Aufgaben:
Erstens die Bekämpfung von Viren, zweitens die Abstoßung alles "Fremden", und drittens, die Zerstörung von entarteten Blutzellen, also Leukämiezellen, so genannten "Blasten".
Dies ist ein Punkt, der mir bislang unbekannt war. Laut Auskunft der Knochenmarksexpertin bilden sich so ziemlich in jedem von uns irgenwann im Leben Blasten. Sie entstehen durch Fehler, die bei der Blutbildung einfach passieren. Normalerweise erkennt unser Immunsystem, also unsere Lymphozyten, sie allerdings als "böse" und macht sie unschädlich. Nur wenn dieses System einmal nicht funktioniert, entwickelt sich eine Leukämie.(Ich stell mir das so vor wie bei der Haut, wo uns ja auch nach jedem Sonnenbrand die Haut abgeht, weil die geschädigten Zellen möglichst schnell abgestoßen werden müssen. Nur wenn solche geschädigten Zellen nicht abgestoßen werden, entsteht Hautkrebs.)

Und dies ist der Punkt an dem die "Zelltherapie" ansetzt. Ziel der Stammzellentransplantation ist es, Aarons Immunsystem "auszuwechseln" gegen eines, von dem man hofft, dass es in Zukunft auftretende Blasten als "böse" erkennt und bekämpft. Denn, und auch das war uns neu, es können durch die Chemotherapie NIE ALLE Blasten zerstört werden (keine Chemotherapie der Welt kann das), wenn eine Leukämie geheilt wird, dann deswegen, weil das eigene Immunsystem wieder fähig ist, Blasten zu erkennen und unschädlich zu machen. Manchmal reicht dazu die Chemotherapie, die möglichst viele Blasten zerstört und die Blutbildung neu ankurbelt.

Aaron soll am 7.3. auf der Station 1A aufgenommen werden. Er kommt dann in ein "Vorbereitungszimmer". Es finden in der ersten Woche alle möglichen Voruntersuchungen statt, und das ist die Zeit in der er die Station kennen lernen soll. Er ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingeschleust, kann sich alles ansehen, ... Außerdem soll er sich in dieser ersten Woche an den neuen Tagesablauf gewöhnen: Erstmals muss er ohne mich dort übernachten, und sämtliche Pflegemaßnahmen (z.B. morgendtliches Duschen) werden von den Schwestern durchgeführt, eingentlich OHNE mein Beisein, das Erscheinen der Mütter ist erst um 10h geplant, wenn alle Pflegemaßnahmen und Untersuchungen bereits erledigt sind. Die Ärztin argumentierte damit, dass die Kinder lieber auf das Personal böse sein sollen als auf die Mütter. Dass es für die Kinder gut sei, zu wissen, wenn die Mama kommt, ist alles gut, dann will keiner mehr was von mir, dann werde ich in Ruhe gelassen. Vermeiden wollen sie, dass die Kinder von den Müttern erwarten, sie in Schutz zu nehmen. Mein sicherlich auch berechtigtes Gegenargument war, dass Aaron bis jetzt sämtliche unangenehmen Dinge akzeptiert hat, wenn ICH dabei war und die Zeit hatte, sie ihm zu erklären. Es haben mir im Lauf des vergangenen Jahres schon viele Ärzte und Schwestern bestätigt, dass ich diesbezüglich eine sehr positive Wirkung auf Aaron habe. Er ist ganz unglaublich kooperativ, und das ist sicherlich auch mein Verdienst. Ich habe deshalb argumentiert, dass es mir lieber wäre, Aaron müsste auf gar niemanden "böse sein", weil er verstehen kann, dass gewisse Dinge einfach notwendig sind. Wir sind diesbezüglich ein bisschen so mit "kommt Zeit, kommt Rat" verblieben, aber ich habe mit Nachdruck vermerkt, dass ich bei sämtlichen Pflegemaßnahmen und Untersuchungen dabeisein möchte, wenn Aaron das wünscht. Natürlich wäre es auch für mich entspannend, wenn ich erst um 10h da sein müsste. Aber ich werde das sicherlich nicht tun, wenn ich weiß, dass Aaron deswegen unglücklich ist.
Ich selbst werde in der Zeit, wo Aaron auf der 1A sein wird hoffentlich gegenüber des St.Anna im "Ronald McDonald Haus" ein Zimmer bekommen, das von der Kinderkrebshilfe genau für diese Fälle betrieben wird. Es wurde mir auch zugesichert, dass ich in der Nacht angerufen werde, falls Aaron nach mir weint, dann kann ich in wenigen Minuten bei ihm sein. Meine Frage war noch, wie die Kinder in der Nacht betreut und überwacht werden. Es gibt zu den Zimmern Gegensprechanlagen - funktioniert wie ein Babyphon - sodass die Schwester sofort hört, wenn ein Kind ruft. Außerdem werden alle Kinder Monitorüberwacht, das heißt EKG-Pickerl und Kabel und Leuchtfinger. (Vor allem das mit den Pickerln und Kabeln muss ich Aaron noch rechtzeitig klar machen!) Der Betreuungsschlüssel ist angeblich 1:1, sodass auch wirklich immer eine Schwester Zeit hat. Beruhigungsmittel, damit das Kind schläft, werden (Gottseidank!!!) nur in Ausnahmefällen eingesetzt, und das wird mit den Eltern vorher besprochen. Die Psychologin, die bei dem Gespräch anwesend war, hat mir geraten, bei dem Pflegegespräch, das bei der Aufnahme mit den Schwestern scheinbar stattfindet, noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass ich Aaron versprochen habe, dass ich angerufen werde, wenn er das wünscht. Er soll mich anfangs ruhig ein paar mal rufen lassen, damit er die Sicherheit entwickeln kann, dass das auch wirklich funktioniert, dass die Mama wirklich nicht weit weg ist und auch kommt, wenn er sie braucht.

Nach der ersten Woche wir Aaron in ein Schleusenzimmer verlegt und die Chemotherapie beginnt. Ab diesem Zeitpunkt darf auch ich nur steril gekleidet und mit Mundschutz zu ihm rein. Die Geschwister können durch eine Plexiglaswand, die sich direkt neben dem Bett befindet, mit ihm reden. Diese Wand teilt das Zimmer in zwei Teile und ist beim Durchgang offen. Es ist also keine Tür da. Aarons Teil des Zimmers wird durch eine spezielle Lüftungsanlage steril gehalten. Die Luft zirkuliert so, dass sie nicht von heraußen in seinen Teil des Zimmers strömen kann. Steril gekleidet muss man also erst sein, wenn man diese "Luftbarriere" überschreitet.

Die Chemotherapie, die er in dieser zweiten Woche (ab 14.3.) bekommt, ist noch stärker, als jede, die er bis jetzt hatte. So genau hat sie's nicht gesagt, aber nachdem die Therapie, die er bislang hatte schon "eine der stärksten" war, und "eine, die man bei Erwachsenen nicht anwenden kann, weil die sie nicht verkraften", ist das, was ihm nun bevorsteht, wahrscheinlich das härteste, was es an Chemotherapie überhaupt gibt. Ziel dieser Chemotherapie ist es erstens, Aarons eigene Stammzellen und seine Lymphozyten weitgehend abzutöten, da sich diese ansonsten gegen die fremden Zellen wehren und diese zerstören würden. "Bei einer AML, vor allem wenn sie so schnell wieder gekommen ist, geben wir allerdings eine weit stärkere Chemotherapie, als notwendig wäre, um diese Abstoßung zu verhindern, weil wir gleichzeitig nocheinmal möglichst viele Blasten töten wollen", so weit das Zitat der Ärztin. Ich nehme an, das ist wichtig, um zu verhindern, dass die Blasten wiederkommen, bevor das neue Immunsystem stark genug ist, sie zu bekämpfen.

An dieser Stelle wurden wir natürlich über die Nebenwirkungen aufgeklärt. Hier nur jene, die mit Sicherheit eintreffen werden: starke Schmerzen durch geschädigte Schleimhäute im Mund und im Darm. (Als ich sagte, im Mund hatte er bis jetzt noch nie Probleme, antwortete sie trocken: "Na dann wird er sie jetzt bekommen.") Weiters Infektionen. (Durch die geschädigten, blutenden Schleimhäute können Bakterien aus dem Mundraum und aus dem Darm in die Blutbahn gelangen und dort schwere Komplikationen bewirken.) Auch das wird nicht zu vermeiden sein. Deshalb bekommen eigentlich alle Kinder in den Wochen nach dieser Chemotherapie ein Morphin zur Schmerzlinderung, sie können in dieser Zeit eigentlich nie selber essen und trinken und werden über die Vene mit allem notwendigen versorgt. Aaron wird unglaublich viele Medikamente bekommen, viel mehr als bisher je, das wiederum schädigt (vorübergehend) die Organe; Nieren, Leber, Herz. Innerhalb von einigen Monaten erholen sich die kindlichen Organe aber wieder vollständig, lanfristige Organschäden sind selten. Fest steht, Aaron wird in dieser Zeit sehr krank sein, und sich auch sehr krank fühlen. Auch darauf soll ich ihn vorbereiten.

Nach einer Woche Chemotherapie kommt der "Tag 0", der erste Tag der "neuen Lebens". Die Spenderzellen kommen in einem Blutbeutel (1l Blut, das durch Mendikamenteneinnahme des Spenders besonders reichhaltig an Stammzellen ist), und wird über eine Infusion "eigentlich völlig unspektakulär, wie ein Ery-Konzentrat" verabreicht. Die gesunden und starken Spenderzellen, die noch nie eine Chemotherapie erlebt haben, können sich in Aarons Körper (trotz der noch vorhandenen Chemo-Gifte) behaupten. Mit Aarons Blut schwimmen sie durch die Knochen, wo sich die Stammzellen ansiedeln und nach einigen Wochen beginnen, neue Granoluzyten zu bilden, die die schlimmen Nebenweirkungen der Chemo wieder heilen.

Bis diese neuen Stammzellen aber fähig sind, auch die wesentlich komplizierteren Lymphozyten neu zu bilden, vergehen allerdings Monate, und so lange machen uns die Lymphozyten des Spenders, die ja auch mit dem Konzentrat mitkommen, zu schaffen. Ließe man sie schalten und walten, wie sie wollen, würden sie sich gegen Aaron selbst richten, weil sie ja darauf trainiert sind, alles Fremde abzustoßen, und der Aaron ist ihnen nunmal "fremd", auch wenn der Spender "zu 100%" passt. Man WILL natürlich, dass sich sich gegen Aarons Blasten richten, aber SO gescheit sind sie nunmal auch wieder nicht (oder wir sind nicht gescheit genug ihnen das in ihrer "Sprache" klar zu machen), sie richten sich alo auch gegen Aarons Haut, gegen seinen Darm, gegen seine Leber. Diese Nebenwirkungen der Zelltherapie fasst man unter dem Begriff GvHD zusammen. Um das Schlimmste zu verhindern, bekommen die Kinder "Sandimmun", ein Medikament, das die Lymphozyten lähmt. Das Problem damit ist, dass die "faulen" Lymphozyten nun auch keine Viren mehr bekämpfen können. Somit werden Viren zur tödlichen Gefahr. Anstatt auf die Viren loszugehen, spielen die fremden Lymphozyten bei einer Virusinfektion nämlich gern verrückt und gehen wieder auf alles "Fremde" los, was wiederum eine GvHD bewirkt. Es muss dann verstärkt Sandimmun gegen die GvHD gegeben werden und zugleich Medikamente die gegen die Viren wirken, so genannte Virustatika, die allerdings sehr schädlich für die Nieren sind.

Im Durchschnitt werden Kinder am Tag 40-50 nach einer Stammzellentransplantation erstmals nach Hause entlassen. Aber die Gefahr ist damit nicht gebannt. Mindestens ein mal wöchentlich, machmal aber auch täglich, müssen die Kinder in die Ambulanz, wo das Blut auch auf die drei gefürchtetsten Viren-Gruppen untersucht wird, um Infektionen frühzeitig zu erkennen, also schon bevor sich das Kind krank fühlt. Es müssen zu Hause strengste Hygienemaßnahmen eingehalten werden, und trotzdem werden die Kinder in den Monaten danach immer wieder wegen Virusinfektionen stationär aufgenommen werden müssen.

Irgendwann zwischen dem Tag 100 und dem Tag 180 (~1/2 Jahr) nach der Transfusion fangen die neuen Stammzellen endlich an, "eigene" Lymphozyten zu bilden. Dann kann das Sandimmun langsam reduziert werden, und dann können die Kinder bald auch wieder in die Schule / in den Kindergarten gehen. eine 100% Chance, dass die Leukämie damit besiegt ist, gibt es nicht, denn bei einer AML gibt es auch Rezidive nach einer Stammzellentransplantation. Darüber wollte die Ärztin aber gar nicht reden, und wir auch nicht. Ich weiß also nicht, wie groß die Gefahr eines solchen Rezidives ist - und will es derzeit auch gar nicht wissen.

Nachdem sich das alles jetzt echt schlimm anhört, sei gesagt, dass die Ärztin das Risiko, diese Monate nach der Transplantation nicht zu überleben, in Aarons Fall auf "nur" 10-15% schätzt. Aarons größter Vorteil ist, dass er noch sehr junug ist. Bei Jugendlichen stehen die Chancen bei Weitem nicht so gut.

Am Schluss ging es noch um die Langzeitschäden.
Mit Sicherheit wird bei Kindern, die so viel Chemotherapie bekommen haben, das Wachstum beeinträchtig. Da unsere beiden gesunden Kinder sehr groß sind, wird Aaron deshalb aber wohl auch kein Zwerg bleiben. Ebenfalls sicher ist, dass Aaron zeugungsunfähig werden wird, das heißt, er wird nie leibliche Kinder haben können.
Von den "möglichen" Langzeitschäden, ist die "chronische GvHD" die gefürchtetste, die in 3-5% der Fälle "schwer" ausfällt, nämlich so, dass die Lebensqualität der Kinder erheblich beeinträchtigt ist. Die Details hierzu will ich mir und euch hier ersparen.

Wie ging es uns nach diesem Gespräch?
Na, was meint ihr?
Ich bin total stolz auf mich, dass ich WÄHREND des Gesprächs keine einzige Träne vergossen habe. Auch den restlichen Tag lang hielt ich mich sehr gut. Aber am Abend zu Hause, als Miriam im Bett war (Markus schlief bei Aaron) heulte ich am Telefon mit meinem Mann Rotz und Wasser. Einerseits WEISS ich natürlich, dass Aarons Krankheit ohne diese Transplantation unweigerlich zum Tod führen würde, oder besser, ich muss das den ÄrtInnen eben glauben. Andererseits WILL ich das aber natürlich nicht wahrhaben, nicht glauben, nicht wissen. Mein Herz wehrt sich absolut dagenen, meinem Kind das anzutun. ICH WILL NICHT!!! ICH MAG NICHT MEHR!!! ES REICHT!!! - das ist es, was mein Innerstes schreit.

Was veranlasst uns aber, trotzdem unsere Einwilligung zu dieser Therapie zu geben?
Mein Mann hat es einfach so formuliert: "weil wir ja eh keine andere Wahl haben" Das stimmt natürlich, aber ich will dennoch versuchen zu erklären, was mich zu dieser Entscheidung bewegt. Nun, ich sehe da all die Jugendlichen vor mir, die sich selbst aus freien Stücken trotz der ganzen Nebenwirkungen und Risiken dafür entscheiden, das auf sich zu nehmen, weil sie LEBEN WOLLEN, und weil ihnen diese Transplantation die Chance auf ein neues Leben gibt. Aaron ist noch zu klein, um das selbst eintscheiden zu können, aber wenn selbst Jugendliche, bei denen die Risiken noch viel höher sind, diese auf sich nehmen, bin ich mir sicher, dass Aaron auch zustimmen würde, auch wenn er die ganze Tragweite dieser Entscheidung bereits verstünde.

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