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Donnerstag, 16. Dezember 2010

letzter "Ausgang"

Geschlafen habe ich schlecht in dieser Nacht. Aaron ist mehrmals mit nasser Hose aufgewacht, hatte er doch nach der Narkose Unmengen getrunken und hängt überdies am Tropf. Außerdem klagte er einmal über Kopfschmerzen, die wir aber mit Hilfe eines feuchten Waschlappens lindern konnten. Das Kabel am "Leuchtfinger" (zur Sauerstoffsättigungs- und Herzschlags-Überwachung) störte ihn, und die Operations-Stelle war auch noch weh. Außerdem erbrach er einen Teil der heißhungrig verzehrten Schokolebkuchen wieder, weil mir die Ärtin nicht geglaubt hatte, dass ihm auf Cytarabin ins Rückenmark noch immer schlecht geworden ist.

Heute Morgen waren die noch ausständigen Untersuchungen an der Reihe, zuerst das EEG, das Aaron schon vermisst hatte. Ich ging ganz bewusst mit Aaron über den verschneiten Innenhof, nicht wie mit Patienten üblich durch den Keller, obwohl, oder gerade weil ich ihm dazu Jacke, Haube und Stiefel anziehen musste. Bis jetzt war Aaron immer auf meinem Schoß gesessen während der Untersuchung, jetzt aber wollte er alleine sitzen. Er ist schon groß. Und er kennt sich aus.

Anschließend mussten wir nocheinmal zum Rhöntgen in den Keller. Damit wurde überprüft, ob der Katheder auch ganz richtig sitzt und keine umliegenden Organe (Lunge, Herz) beschädigt wurden. Und danach kam gleich unser großer Ausflug zum CT auf die Bellaria. Der Fahrer vom St.Anna-Krankenwagen ist ganz im Geiste des Hauses sehr lieb zu den Kindern. Er ließ Aaron selbst die Türen zum Wagen öffen und schließen, sich selbst anschnallen, und Aaron hatte ein letztes Mal Gelegenheit, durch den Schnee zu stapfen.

Beim Anblick der "Röhre" stockte Aaron merklich. So sehr ihn die großen Untersuchungs-Geräte faszinieren, so erschrecken sie ihn doch auch. Ich nahm Aaron auf den Arm und zeigte ihm erst einmal das Gerät aus einer etwas höheren Perspektive, während ihm die medizinische Assisstentin die Funktion erklärte. Aaron wollte von mir noch einmal erinnert werden, wie das war, als er sich "nicht getraut hat auf den Tisch zu legen", das war bei der Bestrahlung - eine ähnliche Situation. Danach war er bereit, sich hinlegen zu lassen. Ich bekam einen Umhang und durfte bei ihm bleiben und ihn am Fuß halten. So konnte er mich sehen und spüren.

Beim Einstellen des Gerätes erschrak er noch jedes Mal, wenn der Tisch sich bewegte. Wir schärftem ihm also ein, dass er nicht erschrecken solle und ganz ruhig liegen bleiben müsse, gerade wenn sich das Ding in Bewegung setzt, weil es gerade dann die Bilder macht, die durch sein Zusammenzucken heillos verwackelt würden. "Du darfst jetzt nicht nicken oder den Kopf schütteln, wenn ich mit dir rede. Lieber nicht so viel schauen, sonst bewegst du den Kopf mit. Mach lieber ein bisschen die Augen zu, während der Tisch mit dir fährt." Ihr hättet die Konzentration in seinem Gesicht sehen sollen. In den kritischen Momenten hat er tatsächlich nicht einmal wirklich geatmet, obwohl die Assisstentin davon gar nichts gesagt hatte, weil das ihrer Erfahrung nach bei so kleinen Kindern einfach nicht funktioniert.

Das erste Bild entstand während des Wartens vor der Untersuchung, seine Haare sind vom EEG noch so lustig "gegelt".



Nach Abschluss der Unteruchung wurden wir noch gebeten zu warten, bis die Bilder fertig waren. Aaron marschierte zuerst noch einmal eine Inspektionsrunde um das Gerät und erkundete dann den Arbeitsplatz der Assistentin. Er hat nichts angerührt, aber es mag sein, dass es ihr doch ein wenig lästig war, dass er immer wieder ihre Schiebetüre öffnete. Ich ließ ihn gewähren, auch später, als er immer und immer wieder den Liftknopf drückte und beim Warten auf unseren Abholdienst immer wieder durch die automatische Tür auf die Straße hinaus lief, was wegen des kalten Luftzugs den Angestellten sicherlich unangenhm war. Es sagte aber niemand was, nicht einmal, als er den riesigen Zimmerbrunnen ein und ausschaltete und mit den nassen Händen die Glastür verschmierte (die ich mehrmals wieder abtrocknete). Wissend, dass dies vielleicht für lange Zeit sein letzter Ausgang sein würde, bremste ich ihn nur sacht.

Zurück auf der Station durfte er noch ein paar Runden mit dem Dreirad fahren. Zu Mittag wurde die Chemo angehängt, und wir wurden auch gleich wieder eingeschleust, was mich selber überraschte. Eine Vorsichtsmaßnahme. Es handelt sich um eine sehr starke Chemo, die Zellen werden rasch schwinden. Das Eingesperrt und Angehängt sein stört Aaron natürlich sehr. Aber immerhin ist er jetzt den Venflon wieder los - der Katheder schmerzt auch schon nicht mehr - und heute Nacht braucht er auch keinen "Leuchtfinger" mehr. Ich weiß nicht, wann er wieder aus dem Zimmer dürfen wird, sag ihm aber erst einmal, dass dieser Chemo-Block jetzt nur 5 Tage dauert, danach muss er zumindest nicht mehr 24h am Tropf hängen. Zum Trost putzte ich das Dreirad und stellte es ins Zimmer, wo er nun reversieren üben kann.

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