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Montag, 1. März 2010

Raus aus der Intensivstation



2010_01_29
Zuerst die Positiven Dinge:
Gestern (Donnerstag) mussten wir zum MRT auf die Urania. Im Vorfeld hatte mir die Anästhesistin , die bei den ersten Malen bei Aaron immer dabei war gesagt, sie sei „ehrlich gesagt schon ein bisschen Narkose-geschädigt was den Aaron betrifft“. Sie würde sich also wünschen, dass ich diesmal mitführe, damit wir zumindest den Transport ohne Narkose schaffen. Am Mittwoch hat sich Frau Dr Keck recht lange zu uns gesellt, sie hat sehr lieb mit dem Aaron geredet, und wir haben uns über unsere jeweiligen Haustiere unterhalten. So hat auch Aaron Zutrauen gewonnen und sie angeschaut, nicht nur stur geradeaus.

2010_01_31 (Sonntag)
Aaron ließ mich vorgestern nicht weiterschreiben – und seit dem hatte ich null Gelegenheit.
Also, am Mittwoch bin ich mit Aaron im Kinderwagerl (mit Gesichtsmaske) eine Runde im Krankenhaus gefahren. Das war ihm fast zu viel. Ich durfte ihn nur im Schneckentempo schieben und selbst dabei erschrak er sehr oft und wurde weinerlich. Ich hätte mir deshalb nicht gedacht, dass der Ausflug zur Urania so glatt geht. Am Do Vormittag war noch die Physiotherapeutin (Anna) da und hat ihm, weil er so geschafft war, noch kranio-sakral beruhigt. Danach bekam er ein Beruhigungs-Zäpfchen, und schon ging’s los. Obwohl ich nicht mit ihm auf der Trage saß sondern nur daneben her ging, war der Transport null Problem. Und auch die Untersuchung selber nicht. Ich hatte ihm erklärt, er bekäme einen richtigen Motorradhelm aufgesetzt, führe in einen Tunnel, und dass der Zug im Tunnel bzw. das Motorrad im Tunnel ganz laute Geräusche mache. Es wurden ihm Kopfhörer (Lärmschutz) aufgesetzt, der „Helm“ übergeschoben und der Kopf noch mittels Keilen zw. Ohrschutz und Helm fixiert. Ich durfte bei ihm bleiben, konnte ihn aber zur Beruhigung nur bei den Füßen halten, als er in die Röhre geschoben wurde. Dann kamen die lauten Geräusche verschiedener Art, mit Pausen dazwischen, sodass man eigentlich immer wieder erschrickt, wenn’s wieder losgeht. Aaron hat gegrinst, und als wir ihn wieder herausholten um Kontrastmittel zu spritzen, war er eingeschlafen. Er erwachte, als ich ihn schließlich von der Maschine hob, schlief aber am Rückweg wieder ein. Wir wurden gleich auf Station 2B gebracht. Man hatte all unsere Sachen schon herübergetragen. Aaron erwachte immer wieder kurz und wir lobten ihn überschwänglich, er lächelte vor sich hin, und döste wieder ein bisschen.
(2010_02_02)
Die Nacht wurde hingegen katastrophal. Aaron hatte sowieso schon große Angst vor dem Einschlafen. Zusätzlich funktionierten die Überwachungsgeräte in unserem neuen Zimmer allesamt nicht und schlugen ständig Fehlalarm, und das so laut und schrill, dass Aaron völlig auszuckte. Auch mehrmaliges Austauschen und neu Einstellen half nichts. An Schlaf war nicht zu denken. 1 mal war er eingeschlafen, da weckte ihn eine ¾ Stunde später ein besonders lauter Fehlalarm. Diese ¾ Stunde blieb die einzige, die wir in dieser Nacht schliefen. (Man bedenke, dass ich schon in den beiden Nächten davor nur je 4 Stunden (mit Unterbrechungen) geschlafen hatte. Um halb sieben Uhr früh war ich am Ende meiner Geduld und Nerven. „Entweder, sie schalten jetzt die Geräte ab, oder ich zieh den Stecker raus!“ herrschte ich die Nachtschwester an. (Aarons Werte waren die ganze Zeit über sehr gut gewesen.) Schließlich schaltete sie die Geräte wirklich ab, aber da war ich dann so voll Adrenalin, dass ich wieder nicht einschlafen konnte, und Aaron war auch hellwach, schließlich war es draußen schon hell. Den ganzen Freitag über machte Aaron nicht ein einziges Mal die Augen zu. Er weinte viel, war sehr schwach und sehr sehr schreckhaft.
Am Freitag Nachmittag, hatte wir eine Ausführliche Besprechung mit OA Dvorzak. Das war auch nicht gerade lustig. Aaron hat „eine der gefährlichsten Krebserkrankungen überhaupt“ (AML), und er hat bis jetzt bei allen möglichen Komplikationen wie sie im Buche stehen „aufgezeigt“. Seine neurologischen Störungen seien auf eine Blutung in den Hirnhäuten zurückzuführen („Gottseidank nur in den Gehirnhäuten, und nicht im Gehirn selbst“) die sich aller Voraussicht nach von selbst resorbieren wird, die uns aber darauf hinweist, dass die Strahlentherapie im Bereich den Kopfes (nach Ablauf der ca. 6-monatigen Chemo-Therapie) bei ihm eine sehr wichtige Rolle spielen wird, weil durch die Blutung in den Hirnhäuten sicher auch Leukämie-Zellen dort hingelangt sind, wo sie sich sowieso gern verschanzen und dann später zu Rückfällen führen. Die Heilungschancen seine durch all die Komplikationen zwar nicht herabgesetzt, denn die Leukämie hat auf den ersten Chemo-Block sehr gut angesprochen. Er klärte uns natürlich auch über alle möglichen Nebenwirkungen der Therapie auf (muss er ja) aber die schreckten mich nicht, stehen sie doch in keinem Verhältnis zur Gefährlichkeit der Erkrankung, welche mir bei diesem Gespräch sehr deutlich vor Augen geführt wurde. In den nächsten Wochen und auch danach nach jedem einzelnen Chemo-Block der ersten ca. 6 Monate könnte es jederzeit zu irgendwelchen Blutungen und oder Infektionen kommen. Vor ersteren versucht man ihn durch regelmäßige Gabe fremder Thrombozyten zu schützen, da jedoch auch der Gerinnungswert seines Blutes schlecht ist, kann’s trotzdem passieren. Vor letzteren wird er möglichst geschützt durch unglaublich strickte Hygiene. „Masken- und Mantel-Pflege“. D.h. Pflegepersonal muss Gesichtsmaske und Schürze tragen, Besucher ebenso, nur mit Manterl, Besuche sind außerdem auf ein Minimum zu beschränken, Hände ständig desinfizieren sowieso (meine sind schon ganz wund davon). Aaron darf das Zimmer nur in Ausnahmefällen (zu Untersuchungen) verlassen, dann muss er eine Maske tragen und darf nichts angreifen. Ich selbst muss täglich frische Wäsche anziehen (Ich verwende meistens Stationswäsche um Markus und den Kindern nicht zu viel Schutzwäsche aufzuhalsen), wenn ich hinausgehe, muss ich jedes Mal einen Mantel überziehen. Das Zimmer hat zwei Türen, mit einer Schleuse dazwischen, es darf immer nur eine offen sein. Was auf den Boden fällt muss desinfiziert oder gewaschen werden, ebenso alles was wir hereintragen. Aaron bekommt sein gesamtes Essen in Plastik verschweißt. Eine halbe Stunde nach dem Öffnen muss ich Reste entsorgen (oder selber aufessen). etc, etc. Trotzdem sind Infektionen zu erwarten und zu fürchten, denn die schlimmeren gehen von Keimen aus, die der Patient selbst im Körper trägt, z.B. im Darm. Eine kleine Blutung in der Darmwand z.B. und schon sind sie im Blut. Aus diesem Grund darf Aaron auch keine Zahnbürste verwenden. Er würde sofort Zahnfleischbluten bekommen, und dabei würden Keime aus dem Mund in die Blutbahn gelangen.
In der Nacht von Fr auf Sa schliefen wir 2x ca. eine ¾ Stunde. Dazwischen schrie Aaron oft wie am Spieß und schlug wild um sich, sodass in der Früh sein Venenzugang am Bein wieder total durchgeblutet hatte, oder er weinte vor sich hin. Allerdings sprach er dann auch immer mehr mit mir, so eine schlaflose Nacht ist schließlich lang, und die Geräte (auf neue ausgetauscht) funktionierten diesmal und gaben Ruhe.
Sa Morgen war ich so geschlaucht, dass ich dachte, ich schaff es nicht mehr. Mir war nur noch schwindlig. Tagsüber wurde es aber wieder besser. Ich fragte mich selbst, wo meine Kräfte herkamen. Markus konnte mich nicht ablösen. Simon hatte schon am Do erbrochen, Markus am Sa in der Früh, er war auch ohnmächtig geworden und hatte sich ein Cut geschlagen. Meine Schwester Johanna hätte Aaron gern besucht, ist aber selber verschnupft.
Aaron schlief auch Sa tagsüber nichts. Es ist einfach unvorstellbar, wie ein kleines, krankes Kind nur mit so wenig Schlaf auskommen kann. Eh nicht gut natürlich. Er fieberte (was uns natürlich gleich Sorgen bereitete) und war wieder sehr sehr schwach. Aber die nächste Nacht (von Sa auf So) konnte er endlich wieder schlafen. In der ersten Nachthälfe wachte er zwar noch stündlich schreiend auf, schlief aber auch wieder relativ schnell ein. Und nach Mitternacht wurde er ruhiger. Er ließ sich dann nicht einmal mehr durch Wickeln und Blutdruckmessen stören und schlief bis ½ 10.
Am So war Susi (Lukas‘ Freundin) zu Mittag bei ihm auf Besuch, sodass ich Essen gehen konnte, am Montag Agnes, da ging ich am Uni-Campus spazieren und verschiedenes einkaufen. In der Nacht von So auf Mo schliefen wir dann gut und auch in der letzten Nacht, von Mo auf Di. Tagsüber macht er jetzt auch wieder schöne Fortschritte, er isst viel (kann auch schon wieder allein essen) und hat schon wieder dasselbe Gewicht wie vor drei Wochen, allerdings noch lang nicht die Kraft. Er malt sehr gerne und heute Vormittag ist er richtig im Bett herumgeturnt, hat das Galgen-Dreieck (auf das ich ihm bis jetzt zum Spielen Luftballons gehängt habe) zum Schaukeln entdeckt, Ball gespielt, ist wieder kurz (mit festhalten) gestanden, war fast den ganzen Tag ohne Windel und hat das Töpfchen benutzt (das natürlich schon mit meiner Hilfe, er kann ja noch nicht frei stehen). Die Ergo-Therapeutin kam mit einer großen Box blauer und grauen Plastik-Steine (und Schüsserl, Schöpfer und Löfferl), was Aaron viel Spaß machte. Zu Mittag hat er heute zwei Stunden geschlafen. Derweil haben die Seelsorgerin und die Kunst-Therapeutin, die eigentlich mit ihm hätte malen wollen, auf ihn aufgepasst und ich war wieder am Uni-Campus. Ich muss echt aufpassen, dass ich hier keinen Klinik-Koller bekomme. Ist schon irgendwie wie Einzelhaft, vor allem am WE, wenn keine Therapeutinnen da sind.
Morgen braucht Aaron wieder eine Narkose. Knochenmarkspunktion, Lumbalpunktion und Verlegung des Venen-Zugangs von der heiklen Stelle am Bein nach oben in die Nähe des Schlüsselbeins. Ab 6h muss er nüchtern sein. Das wird hart, hat er doch in den letzten Tagen eigentlich stündlich was zu essen verlangt. Ich wird mir einen Wecker stellen und ihm vielleicht mit der Spritze noch ein Naii (=Milch mit Hipp-Gläschen-Obstbrei) sondieren, falls er’s nicht trinken mag.
2010_02_04 (Donnerstag)
Gestern war ein recht schwerer Tag. Zuerst das nüchtern bleiben müssen. Aber das ist eigentlich ganz gut gegangen. Weil er so viel gegessen hatte, hatten sie ihn nachts keine Sonden-Nahrung angehängt. Drum ist er um 4h früh aufgewacht und hat gesagt: „Ich will ein Naii.“ (=Milchbrei-Fläschchen) Natürlich hab ich mich gefreut und gesagt:“Das ist eine gute Idee. Ich mach dir gern ein Naii.“ Und nach dem Trinken haben wir noch ein bisschen geplaudert, und dann ist er noch einmal gut eingeschlafen. Zum Frühstück bekam er dann noch so einen Spezialsaft „preOp“, von dem hat er fast 2 Packerl getrunken. Die Ergo-Therapeutin hat ihm eine große Kiste mit Kunststeinen und Murmeln gebracht und verschiedenes damit gespielt, was ihn dann auch ablenkte, und dann kam er auch noch ½ Stunde früher dran als geplant. Sie haben mich mitsamt dem Aaron am Bett hinuntergeschoben, und Aaron freute sich über die Liftfahrt, wenn er auch doch sehr aufgeregt war. Unten mussten wir noch auf die Frau Dr Keck warten, während dessen scherzte die Anästhesistin mit Aaron und wiederholte ständig: „Du bist so ein Süßer.“ Das finden übrigens alle hier. Mit seinem gewinnenden Wesen macht Aaron sich viele Freunde. Auch ohne seine Locken. (die kurzen Haare fallen ihm übrigens seit 2 Tagen zu Hauf aus, obwohl er jetzt grad Chemo-Pause hat. Sie spritzten ihm dann noch bei mir ein bisschen Propofol, woraufhin er umkippte und sie ihn schnell rein trugen. Die Anästhesistin war etwas besorgt wegen seiner Atmung und wollte ihn so schnell wie möglich bei den Geräten haben.
Für mich war das Warten einigermaßen schlimm. Zuerst ging ich essen. Das geht. Ich weiß ich muss essen, und ich kann auch. Aber danach im leeren Zimmer, das war schwer. Ich musste mich total zusammenreißen meine Gedanken nicht in Richtung „Was mach ich, wenn er jetzt stirbt“ wandern zu lassen.“ Gott sei Dank ging alles gut und nach ca. einer Stunde hieß es, ich könne ihn abholen kommen. Er lag im Bett und weinte. Ich legte mich gleich zu ihm, sollten sie mich doch wieder mit ihm schieben. Die Anästhesistin erklärte mir noch, dass sie ihm zur Sicherheit wegen seiner Lunge eine Gas-Narkose gemacht hätte, worauf er jetzt sicherlich 2 Stunden noch recht ‚unrund‘ (zornig, weinerlich, etc.) sein würde. Ich war nur dankbar und sagte, das schaffen wir schon. Aaron weinte noch bis wir endlich wieder allein im Zimmer waren. Dann sagte er, er wolle „Laptop-Pool“ anschauen, was eine tolle Idee von ihm war, denn das ist das lustigste, das wir haben, und bei den Geräuschen seines eigenen und Miriams Lachen schlief er dann in meinen Armen ein. Ist vielleicht komisch, wenn ich das als Mutter schreibe, aber mein Aaron, der ist schon ein ganz besonders tolles Kind. Nach dem Aufwachen war ihm schlecht und er übergab sich, bekam ein Medikament gegen Übelkeit, und eine halbe Stunde später trank er Kakao und aß ein Kipferl mit Marmelade. In der Nacht schief er gut.
Heute Morgen tat ihm der neue Venen-Zugang ein bisschen weh, aber offensichtlich weit weniger als den meisten Kindern. Er konnte sich nicht auf die eine Seite drehen und setzte nicht (wie in den letzten Tagen allein auf, aber ansonsten agierte er recht normal, bewegte den Arm ohne sichtliche Schmerzen. Beim Ablösen des Verbandes hat er aber schon geweint, obwohl das Pflaster fast schon von alleine runter ging. Aber die Stelle war eben allgemein weh und er hatte Angst, wenn die Schwester in die Nähe der frischen Wunde kam. Heute Vormittag hatte er dann Unterhaltung pur. Erst die Ergo-Therapeutin mit ihrer Steine-Kiste (+ Knöpfe zum Fädeln). Sie sagte, seine Feinmotorik habe sich seit gestern wieder deutlich verbessert. Das tut gut zu hören. Es hat ihn also der Eingriff nicht irgendwie zurückgeworfen. Danach kam die Physio-Therapeutin, und die sagte, also dafür dass das der erste Tag nach dem Eingriff ist, bewege er sich toll. Danach kam die Kunst-Therapeutin und Aaron malte begeistert Bilder mit Walze, etc. Und zum Schluss noch die Kindergärtnerin, die ihm so einen gelben Smiley-Luftballon mitgebracht hatte, auf den er mit Pinsel Kleister schmierte und Krepppapier-Haare klebte. Während der letzten beiden ging ich wieder eine Runde über den Uni-Campus, obwohl heute das Wetter so gar nicht einladend war (Hochnebel und windig feucht-kalt).
Geschmack zu oft.

Aaron war grad kurz wach. Er ist so ein hübsches Kind. Oh, wie ich ihn liebe. Und Miriam schreibt mir so liebe sms. Sie ist einfach unglaublich. Ist es ein Frevel, wenn ich mich trotz Aarons Krankheit glücklich schätze? Ein Frevel sicherlich nicht. Es ist nur irgendwie komisch, denn das was ich hier erlebe, das ist ja der Alptraum der meisten Eltern. Und doch. Ich kann mich glücklich schätzen, diese Kinder in meinem Leben zu haben.
Nach was Positives möchte ich heute anmerken. Markus sagt so oft: „Es gibt so viele Arschlöcher auf der Welt.“ Damit meint er z.B., dass irgendein Verbrecher oder betrunkener Autofahrer einem unserer Kinder etwas antun könnte. Jetzt muss ich etwas ganz starkes dagegen halten, das ich hier in diesem Krankenhaus erlebe:
Es gibt so viele tolle Menschen auf dieser Welt. Es ist einfach unglaublich.

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