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Mittwoch, 6. April 2011

Tag 16 - Leber in Gefahr?

Heute früh ist Aaron aufgewacht, als ich um 7h den Kopf durch die Schiebetür steckte. Also Frühstück verschoben und sogleich eine Stunde Super Mario gespielt. Aaron setzte sich auf, um das Puls-Oxi-Kabel von der Zehe zu entfernen, merkte offenbar, dass ihm das Sitzen keine großen Schwierigkeiten bereitete, strahlte mich an und sagte: "Ich sitze! Hey schau, ich sitze!" nahm sich sein Tuchi und einen Teletubby zum Schmusen und sagte: "Ich bin heute fröhlich!" Nachdem mir Mario zu langweilig geworden war, schlug Aaron vor, das Wii-Board zu verwenden (für so ein "Junior Fitness"-Spiel). Das hatte er erst einmal ausprobiert, gleich nach dem Einschleusen, als es ihm noch gut ging. Die Euphorie lies aber dann schnell nach, weil das Stehen doch nicht so einfach war, wie er sich vielleicht gedacht hatte. Also bat ich ihn, sich wieder ein wenig hinzulegen und vor dem Duschen noch auszurasten.

Die Ärztin untersuchte ihn heute schon vor dem Duschen, und beim Abtasten des Bauches wurde klar, dass da was ganz und gar nicht in Ordnung ist. Aaron jammert sonst nie, wenn etwas nur unangenehm ist. Heute aber sagte er nur "Au au au", wo immer sie seinen geschwollenen Bauch auch berührte. Dass er Wasser im Bauch hat war nicht nur der Ärztin sondern auch mir klar, aber sie verordnete gleich noch einen Ultraschall, v.a. um die Leber zu kontrollieren.

Das Duschen wurde heute leider überhaupt nicht lustig. Aaron hatte starke Bauchschmerzen. Er weinte, und wollte mich gar nicht frühstücken gehen lassen. Also stand ich da und hielt ihn an den Händen, während ihn die Schwester vorsichtig wusch und abduschte. Er, der sonst so eine Wasserratte ist, stand zitternd vor Schmerz und Kälte da, klammerte sich an meine Finger und biss die Zähne zusammen, bis er wieder ins Bett durfte. Dann ließ er mich gehen, und ich kochte mir einen Tee, den ich zusammen mit einem alten Kipferl und einem noch älteren Graham-Weckerl im Vorraum zu mir nahm, während Aaron sich langsam wieder entspannte.

Als die Pflege vorbei war, las ich ihm mehrere Pixi-Bücher vor, während das Zimmer gereinigt wurde. Es ist für Aaron recht unangenehm, dass direkt nach der anstrengenden Pflege auch noch der Putztrupp für Unruhe sorgt. Eigentlich sollte ich ja aus dem Zimmer gehen, wenn die eh schon zu zweit hereinkommen, weil dann so viele Leute im Zimmer sind. (In der Air Flow Unit soll sich außer dem Patienten für längere Zeit eigentlich immer nur eine Person aufhalten wegen der (trotz Maske) ausgeatmeten Keime. Man kann aber den Air Flow höher einstellen, wenn kurzfristig mehr Leute im Zimmer sind. Nachdem mich Aaron nach der Pflege, wenn es ihm nicht gut geht, dringend braucht, um wieder ruhig zu werden, bleibe ich in letzter Zeit trotzdem bei ihm, auch wenn ich irgendwie im Weg bin.

Die Putz-Damen wollten bis jetzt immer lieb mit Aaron plaudern, obwohl er immer sehr abweisend ihnen gegenüber war. Gestern erklärte ich ihnen, dass er nach der Pflege eigentlich nur noch in Ruhe gelassen werden will, und deshalb so "unhöflich" zu ihnen ist. Seit dem tun sie nur still ihre Arbeit, ohne ihn anzusprechen. Wenn ich ihm dabei vorlese, ist es nicht so schlimm. Ich komme mir natürlich trotzdem unhöflich vor, wenn ich die Putzkräfte so ignoriere, so als würde ich ihre Arbeit nicht wertschätzen, aber ich tu, was für mein Kind wichtig ist. Wenn's als arrogant rüberkommt, dann tut mir das leid, aber Aaron ist mir wichtiger.

Ziemlich gleich nach den Putz-Damen kam die Ultraschall-Ärztin. Aaron war super-tapfer und brav, obwohl die Untersuchung schmerzhaft war. "Wann is's fertig?" fragte er nur immer wieder. Als ich ihn nachher lobte und sagte, er sei so tapfer gewesen, regte er sich allerdings lautstark auf: "Wenn ich so weh hab, bin ich überhaupt nicht tapfer!" schrie er mich an. Ich erklärte ihm dann noch, das "tapfer" heißt, dass man nicht schreit und strampelt obwohl man weh hat, dass tapfer sein natürlich nicht lustig ist, aber auf jeden Fall hilfreich.

Das Ergebnis der Untersuchung ist leider auch nicht lustig. Darm okay, Leber sieht okay aus, nicht vergrößert, aber Wasseransammlungen im Bauchraum und der Fluss der Leber-Venen stimmt nicht. Das spricht leider für eine VOD der Leber*, eine enrstzunehmende Spätfolge der Chemo-Therapie, bei der die feinen Lebergefäße verstopfen bis schließlich das Blut nicht mehr durch kann, die Leber nicht mehr funktioniert. Ich kann mich erinnern, dass uns das die OÄ beim Erstgespräch erklärt hatte, eines jener unangenehmen Dinge eben, die man schnell wieder verdrängt in der Hoffnung, sie mögen nicht gerade beim eigenen Kind auftreten. Ich kann mich nur daran erinnern, dass die OÄ gesagt hatte, die Kinder könnten davon eine riesigen Wasser-Ballon-Bauch bekommen. Eben diese Aussage war abschreckend genug, sich nicht weiter mit der Sache auseinanderzusetzen.

Zum Glück gibt es dagegen ein gutes Medikament, das offiziel noch gar nicht zu haben ist; kommt demnächst sicher sündteuer auf den Markt. Das St.Anna hat aber an der Studie zu diesem Medikament teilgenommen und verfügt deshalb noch über Restbestände, die für die Behandlung der Kinder hier verwendet werden können. In der Studie konnten die Ärzte hier auch keine schlimmen Nebenwirkungen dieses Medikamentes feststellen, sie sind davon überzeugt, also bin auch ich sehr froh, dass Aaron das bekommen kann. (Früher sind die Kinder daran gestorben.) Parallel bekommt Aaron verschiedene entwässernde Medikamente. Es wird aber einige Wochen dauern, bis das wieder im Lot ist.

Wer weiß, vielleicht wird es bei Aaron ja nicht soo schlimm. Ich hab auch gleich nach dem Ultraschall, noch vor der Diagnose, den heilkundigen Bauern aus meiner Heimatgemeinde angerufen, der Aaron aus der Ferne untertützt und ihn gebeten, sich mal seine Leber anzusehen. Vielleicht kann er ja schlimmeres Verhindern.

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*)VOD der Leber, hab grad gegooglet. Definition:
Konzentrischer nicht-thrombotischer
Verschluß terminaler und sublobulärer
intrahepatischer Venen mit
Verminderung des sinusoidalen
Blutflusses

Simma jetzt klüger? Wohl kaum. In meinen Unterlagen vom Erstgespräch hab ich auch nachgeschaut. 1%-3% der Kinder, die dieselbe Chemo hatten wie Aaron, bekommen eine VOD der Leber. NA SUPER!!!!!
Es kann einfach NIE mal irgendwas glatt laufen. Es ist echt zum Schreien!!!!!

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